Duell'03: Mission Impossible

Es war 3 Uhr morgens und ich war total kaputt. Nach 7h Fähre und 1000 km Autobahn waren wir aus dem Urlaub zurück. Ich wollte nur noch ins Bett. Als ich dann noch den Anrufbeantworter abhörte vernahm ich eine bekannte Stimme: Hallo Michael, was machst Du? was trainierst Du? ...? ...? hast Du Dich schon für Alzenau angemeldet? denn: DAS DUELL MUSS WEITERGEHEN!

Ich war zu müde um wirklich geschockt zu sein und fiel ins Bett. Am nächsten Morgen checkte ich den AB noch mal. Nein, Josefs Nachricht war kein Traum gewesen und eins war klar: irgendwie hatte ich nun ein Problem mehr. Auf so einen Triathlonzweikampf wollte ich mich dieses Jahr eigentlich nicht mehr einlassen und im Gegensatz zu mir war mein Erzrivale topfit.

Beim letzten Duell im September '02 hatte Josef mich klar distanziert. Und trotzdem hatte er sich nach einem ausgeklügelten Trainingsplan wieder konsequent auf das heurige Kräftemessen vorbereitet. Im Winter hatte er regelmäßige Tempoläufe absolviert, um seine Grundschnelligkeit zu verbessern. Im Frühjahr stand dann ein mehrwöchiges Trainingslager in Sardinien auf dem Programm, wo er sich tausende von Radkilometern in die Waden pumpte. Auch Schwimmen war für ihn kein Thema mehr und wie man weiß, wird nicht nur in Aschaffenburg permanent eine Bahn speziell für ihn freigehalten. Nicht zu vergessen auch die ständigen Weiterentwicklungen der Sportartikelindustrie: immer neue, schnellere Materialien und Schwimmanzüge haben seiner früheren Angstdisziplin fast jeden Schrecken genommen.

So ging Josef dieses Jahr gut vorbereitet in eine lange und harte Wettkampfsaison. Nach dem Auftakt der Hessischen Ligawettkämpfe im Mai folgte ein erster Höhepunkt. Die erfolgreiche Teilnahme am Ironman France in Geradmer in den Vogesen - berüchtigt für seine extrem harte Radstrecke, aber letztlich nur ein Belastungstest und kleines Vorgeplänkel für die ultimative Herausforderung: das Duell 2003 in Alzenau. Um seine schon immer gefürchtete, tropentaugliche Temperaturhärte weiter zu steigern nahm er im August bei 40°C im Schatten auch noch die Mitteldistanz DM in Kulmbach mit, wo er sich den letzten Feinschliff holen wollte. Dazwischen stand natürlich noch das ein oder andere Spezialtraining auf dem Programm wie zum Beispiel die legendären Bußeritte nach Walldürn, dem ab- und hochgelegenen Wallfahrtsort im Niemandsland zwischen Odenwald und Taubertal.

Bei mir sah es nicht so gut aus. Ich hatte dieses Jahr noch weniger Radkilometer als sonst. Als einzigen längeren Wettkampf hatte ich die Moret Mitteldistanz absolviert, wo ich nur unter Aufbieten aller Kräfte finishen konnte. Bei unseren gemeinsamen Starts in der Seniorenliga hatte mir Josef jedes Mal gezeigt wo der Hammer hängt. Beim Sprint in Darmstadt konnte ich aufgrund glücklicher Umstände noch bis zum Laufen mithalten, aber dann am Edersee musste ich ihn bereits auf der Radstrecke ziehen lassen und im Ziel hatte er mir erniedrigende sechs Minuten abgenommen. Als ernsthafte Rivalen konnte man uns schon länger nicht mehr bezeichnen.

Und nun waren es nur noch 14 Tage bis Alzenau und mir war klar, dass ich nicht den Hauch einer Chance hatte. Aber es gab kein Zurück. Und so packte ich meinen Kram und fuhr ins Schwimmbad. Danach stieg ich aufs Rad und abends ging ich sogar noch etwas Laufen. Und am nächsten Morgen schon wieder aufs Rad, um mit unseren Seligenstädter Cracks Torstens ultimative "Spessart-Höhenmeter-Sammelrunde" für Viernheim in Angriff zu nehmen. Ich verfehlte die Elitegruppe und musste mich alleine über die Berge kämpfen. Dafür durfte ich die anderen im Ziel in der Schubertstrasse bei vorzüglicher Bewirtung erwarten.

Und am folgenden Wochenende ging's nach Viernheim zum Abschlusswettkampf der hessischen Seniorenliga. Aber für uns war das nur die allerletzte Standortbestimmung vor dem Shutout. Mit dem kühlen, regnerischen Wetter und den steilen Anstiegen und kurvenreichen Abfahrten hat dieses "Radrennen" mit etwas Schwimmen vorher und einem flachen Lauf hintendrauf aber seine eigenen Gesetze. Bei der Warterei am Schwimmstart (ohne Neopren) im Regen wäre der eine oder andere fast erfroren. Und dann auf der nicht nur technisch anspruchsvollen Radstrecke fand sich so mancher im Graben wieder. Aber wir Seligenstädter erreichten alle das Ziel und mischten mit drei (3!) Mannschaften die Hessische Seniorenliga auf.

Während unsere Profis der ersten Seniorenmannschaft im Ziel von der Einführung der Seniorenbundesliga träumten oder wenigstens von einer Rückstufung in die Hauptklasse, war ich völlig verwirrt. Denn, oh Wunder - Josef hatte keinen guten Tag erwischt und er erreichte erst nach mir das Ziel. Zunächst blickte ich frohen Mutes und voller Optimismus in Richtung Alzenau, aber dann, nach einer genaueren Analyse der Situation, begriff ich, dass Joe nur geblufft haben konnte. Bestimmt hatte er sich geschont, um nächste Woche beim eigentlichen Showdown unerbittlich zuschlagen zu können. Also trainierte ich die letzten Tage so gut es ging weiter und versuchte sogar mal einen so genannten Tempolauf, was bei mir nichts mit schnell Laufen zu tun hat. Aber man versucht so schnell wie möglich zu laufen, obwohl der Körper das entschieden ablehnt.

Der entscheidende Tag rückte näher und wie man weiß, ist es von großer Wichtigkeit in der Vorwettkampfphase keinen Fehler mehr zu machen. Also schonte ich mich und nutzte die Zeit, um Material und Rad zu checken. Alles sollte Tipp topp sein, aber außer einer neuen Air Stream Flasche war seit Jahren nichts mehr investiert worden. Auch materialtechnisch sah es also nicht gut aus für mich und nicht umsonst lautet die Überschrift dieses Berichtes: Mission Impossible.

Der 7. September zog herauf und erneut sollte der Saisonabschluss in Alzenau Schauplatz für dieses Duell unter so unterschiedlichen Vorzeichen sein. Kräftesparend war ich diesmal mit dem Auto hingefahren. Zu spät bemerkte ich aber, dass ich in unmittelbarer Nähe meines Konkurrenten geparkt hatte.
Michael Josef, links daneben Rainer
Natürlich ein Fehler. Und beim Vorbereiten der Räder war der Psychokrieg bereits voll entbrannt. Ich bewunderte die neuen Carbonkurbeln an Josef's OCLV.
Die Karbonkurbeln
Eigentlich erstaunlich, dass Kette und Ritzel an seinem Boliden noch immer aus schnödem Metallmaterial gefertigt sind. Trotzdem stand mein Rivale kurz vor der Verwirklichung seines langgehegten Traums vom weltweit ersten Vollcarbonrad unter 6 kg. Das heißt mit Rädern hatten wir beide exakt das gleiche Kampfgewicht.

Die Konkurrenten vor dem Start

Zusammen mit der Elite der Seligenstädter Senioren Gerd Scheibe, Klaus Rumrich, Dieter Völker und ThomasKurz vor dem Start Vondran standen wir gut verpackt in schnelles Neopren um 10:30 in der dritten Startgruppe am Meerhofsee. Es war endlich soweit. Der Countdown lief und dann fiel der erlösende Startschuss. Auf der kurzen Schwimmstrecke von etwa 500 m ging es gleich brutal zur Sache. Ich wollte mich an Gerd dranhängen, aber der hatte sich eine eigentümliche Schwimmroute ausgeguckt und als er wieder auf den rechten Pfad zurückfand hatte ich keine Chance dranzubleiben. Beim Atmen konnte ich links neben mir Joe erkennen. Er gab alles und er war schnell. Nach etwa 6 Minuten war der erste Schwimmer aus dem Wasser, dann Gerd und Klaus (ohne Neo!) vor mir. Nur Sekunden danach folgten Dieter und Josef.

Miachael Josef

Mit Unterstützung einer netten Helferin, die dafür überhaupt nicht vorgesehen war, schaffte Josef einen absoluten Blitzwechsel. Und als ich meinem Rad die Sporen gab, war er schon vor mir. Aber er musste noch in die Schuhe schlüpfen und schwupps! war ich vorbei. Vielleicht ein Fehler? Jetzt ließen wir es erstmal brummen - vor allem Klaus, der gleich wieder an uns vorbei und weg war. Trotz des kühlen Morgens wurde mir schnell warm und ich gab Gas. Hinter mir wurde das knarzende Geräusch eines sich unter extremer Beanspruchung verwindenden Carbonrahmens langsam leiser. Mein Alurahmen jammerte nicht und ich hörte nur das Singen der Kette und das Brummen der Scheibe.
Michael Josef
Von hinten pfiff nur kurz der DSW-Express vorbei und erst am Ende der zweiten Radrunde hatte mich Dieter eingeholt und wir gingen zusammen auf die Laufstrecke.

Und wo war Joe? Es konnten nur Sekunden sein, die er auf dem Rad abgegeben hatte und die er jetzt beim Laufen wieder einfordern würde. Aber noch war er nicht da. Ich konnte Dieter nicht mehr folgen, aber bis zum Wendepunkt bei km 3,5 war von Josef noch nix zu sehen. Als wir uns dann begegneten, taxierten und er mich in ein Gespräch verwickeln wollte, lag etwa eine halbe Minute zwischen uns. Vielleicht war Mission Impossible doch possible? Es war echt spannend, aber nur wenige Zuschauer und Teilnehmer wussten, was sich hier wirklich abspielte. Die Anfeuerungen besonders charmanter und begeisterter Fans ließen uns alles geben. Ich versuchte meinen kleinen Vorsprung auf die verbleibenden Kilometer umzurechnen, aber Mathematik half jetzt auch nicht weiter. Dann war ich am Sportplatz und ereichte die Zielgerade. Gegenüber sah ich wie Joe ins Stadion lief. Nach einem Trainingsjahr trennten uns 150 Meter bzw. 35 Sekunden.
Michael kurz vor dem Ziel  Josef wenige Meter vor dem Ziel

Beim späteren Auffüllen der entleerten Kohlehydratspeicher ging's uns schon wieder ganz gut. Ich hatte eine Mission hinter mir und Josef hat lösbare Aufgaben vor sich. Zunächst mal beim Nikolaus Duathlon und dann natürlich nächstes Jahr! Er würde optimal vorbereitet sein, das war klar. Und ich würde den Anrufbeantworter abstellen.
danach

Text: Michael Thiem
Bilder: Marion Bührmann

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