Duell '02: Abrechnung im Kahlgrund

Plakat Golden Classics

Am 8. September fand bei herrlichem Wetter die 6. Auflage des Alzenauer Triathlons statt. Dort, jenseits des Mains, wo nicht nur der Himmel weiß-blau ist, findet jedes Jahr im September eine nette, kleine Veranstaltung statt, die auch einige Seligenstädter Athleten zu einen versöhnlichen Saisonausklang nutzen wollten. Unter den 170 Startern über die kurze Distanz von 0,5-28-6,7km waren Kalli Flach, das unermüdliche Urgestein der Hessischen Ausdauerszene, sowie die noch frisch gebackenen IM Frankfurt Finisher Torsten Kleine-Rüschkamp, Andreas Schultheiß, Josef Huth und Michael Thiem. Bei bei den beiden Letztgenannten sollte es heute jedoch um mehr gehen, um viel mehr!

Nach Wochen und Monaten unwichtigen Vorgeplänkels bei unbedeutenden Vorbereitungswettkämpfen über die diversen Triathlondistanzen war es nun endlich soweit. Die Zeit fadenscheiniger Ausflüchte, billiger Entschuldigungen und unbegründeter Absagen war endgültig vorbei. Der seit Jahren mit unerbittlicher Härte geführte Zweikampf zwischen Josef und Michael sollte seinen diesjährigen Höhepunkt erleben: das Duell'02. Insidern der Szene ist klar, was das bedeutet und weitere Erklärungen erübrigen sich - allen andern sei empfohlen zur Einstimmung den letztjährigen Bericht "Das Duell 2001" auf dieser Website nachzulesen.

Im Verlauf einer langen und harten Triathlonsaison hatte sich Josef kontinuierlich steigern können und mit dem Aufstieg in die erste Mannschaft der so erfolgreichen und vielgerühmten Seligenstädter Senioren darf man ihn inzwischen zur absoluten Elite unseres Vereins zählen. Mit Michaels Leistungen dagegen ging es schon seit einiger Zeit steil bergab und die Konstanz mit der er sich von Wettkampf zu Wettkampf verschlechtert hatte, warf einige Fragen auf. Begegnungen der etwas anderen Art am Edersee und in Frankfurt waren Anlass genug über seine sportliche Zukunft nachzudenken. Kurz und gut er konnte ein Erfolgserlebnis gebrauchen und er musste sich dieser Aufgabe stellen. Es gab kein zurück.

Im Zuge der direkten Wettkampfvorbereitung galt es bereits am Vorabend eine größere Herausforderung in Form einer vereinsinternen Feierlichkeit zu meistern. Herzlichen Dank den noblen Spendern und Organisatoren, die für flüssige und feste Nahrung in triathletcompatiblen Mengen gesorgt hatten! Da galt es bereits im Vorfeld physische Schäden zu vermeiden. Es war aber nicht nur für das leibliche Wohl gesorgt, nein auch die Slide Show mit einem Saisonrückblick war äußerst unterhaltsam. Dieser gutgemeinte Versuch, auch die beiden Protagonisten so auf die Entscheidung am nächsten Morgen einzustimmen, hatte aber so seine Tücken. Denn die direkte Konfrontation mit der eigenen körperlichen Erscheinung bei Pulswerten um die 180 war eine doch eher traumatische Erfahrung, die der Motivation nicht unbedingt förderlich war.

Als der Startschuss am Meerhofsee fiel, befanden sich beide Kontrahenten zusammen in der zweiten Startgruppe, die relativ schwach besetzt war. So konnte Michael sogleich die Führung im Wasser übernehmen. Er genoss das seltene Erlebnis in glattes, jungfräuliches Wasser zu greifen und nicht an die zappelnden Füße anderer Triathleten - nicht ahnend, wer sich da geschickt in seinem Wasserschatten mitziehen ließ. Auch als er dann nach einem schnellen Wechsel - immer noch führend - auf dem Rad dem sonoren Brummen seiner Carbonscheibe lauschte und sich die freie Straße vor ihm auftat, war seine Welt noch in Ordnung. Nur kurz musste er ab und an die Ideallinie verlassen, um einige Backmarker der ersten Gruppe zu überholen. Jetzt wusste er, warum er seinen müden Körper kurz nach dem Sonnenaufgang aus dem Bett gezwungen hatte und sich im Kampf gegen den inneren Schweinehund nach Alzenau gequält hatte. Er wähnte sich in relativer Sicherheit, wenn nicht sogar in einer trügerischen Überlegenheit.

Aber dahinter gab jemand alles. Die Kette an Josefs Rennmaschine war zum Zerreißen gespannt und sang ihr klagendes Lied. Bei jeder Umdrehung wurden kleine Titanspäne von den wenigen eingreifenden Zähnen des Ritzels gefräst. Das Hinterrad wimmerte unter der rohen Gewalt der übertragenen Kräfte und in die klare Morgenluft mischte sich ein Hauch von verbranntem Gummi. Das war ein Sprinttriathlon und kein Kindergeburtstag! In totaler Verschmelzung mit seinem Carbonboliden, Josefs bevorzugten Aufenthaltsort und seinem besten Freund verfolgte er tief über den Lenker gebeugt wie sich der Schnitt auf seinem Tacho Ziffer um Ziffer erhöhte. Er wollte jetzt die Vier sehen und zwar vorne. Er war richtig gut drauf und hatte sich optimal auf diesen Tag vorbereitet. Spätestens jetzt hatte sich das monatelange Spezialtraining bei seiner persönlichen Schwimmlehrerin ausgezahlt und in einer übermenschlichen Anstrengung hatte er beim Schwimmen nur Sekunden verloren. Nach einem fliegenden Wechsel war er als Gruppenzweiter auf die Strecke gegangen, immer in Schlagdistanz und sich seiner noch kommenden, eigentlichen Stärke voll bewusst.

Als Michael die Wechselzone erreichte, befand er sich immer noch in seiner kleinen, heilen Welt und hatte keine Ahnung, welche Urgewalten sich da hinter ihm entfalteten. Er war guter Dinge: jetzt noch die Laufschuhe an und dann los! als ein schwarzes Trek OCLV 5000 scharf abbremste und er unter dem GIRO Replika Helm ein freudig, grinsendes Gesicht bei der Einfahrt in die Wechselzone erkannte. Der Schreck durchfuhr seinen ganzen Körper, das Blut gefror in seinen Adern. Wie das? Joe hier? Jetzt schon? Das waren ja nur wenige Sekunden Vorsprung. Der Schock war fürchterlich und als er schließlich loslaufen wollte, verweigerten ihm die Beine fast den Dienst.

Noch 6,7 km Laufen lagen vor den beiden und nach etwa drei Kilometern kurz vor dem Wendepunkt war es soweit. Josef hatte aufgeschlossen und als Meister der psychologischen Kriegsführung ließ er es sich nun nicht nehmen, diesen langersehnten Moment des Triumphs auszukosten und zu zelebrieren. Erst vernahm Michael von hinten einige glucksende Laute freudiger Erregung. Offensichtlich war da jemand richtig glücklich ihn "mal wieder" zu sehen. Nun brauchte er sich keinen Illusionen mehr hinzugeben. Jetzt war klar, was die Stunde geschlagen hatte. Dann auf gleicher Höhe laufend eröffnete "the Grip" zunächst eine unverbindliche, kleine Plauderei und gab einen kurzen Abriss seiner erfolgreichen Renntaktik, nicht ohne selbstkritisch anzumerken, dass ihm der Seligenstädter Radsport Express zur Hilfe geeilt war und er die oder den letzten Kilometer im Windschatten eines potentiellen Tour de France Siegers zurückgelegt hatte.

Aber dann war Schluss mit lustig. Kurz und knapp kam Joe's gefürchtetes "Bleib dran" und Sekundenbruchteile später startete er mit verdoppelter Schrittfrequenz durch. Michael blieb nicht dran und musste Staub schlucken. Nicht die Beine, aber seine Gedanken begannen zu kreisen und plötzlich sah er alles glasklar vor sich: es war ein Fehler gewesen, gestern Abend dann doch noch dieses allerletzte Bier zu trinken, während sich sein Konkurrent schon bald verabschiedet hatte. Es war ein Fehler gewesen heute früh mit dem Rad anzureisen und dabei vielleicht entscheidende Kohlehydrate sinnlos zu verbrennen. Es war überhaupt schon ein Fehler gewesen Alzenau als Austragungsort zu akzeptieren - schließlich ist die Schwimmstrecke im Rodgau mindestens 200m länger und die Laufstrecke kürzer.

So vieles hatte er nicht bedacht und schlecht geplant. Als er seinen Blick wieder erhob, sah er, wie sich oben auf der Anhöhe ein Läufer in seinem individuellen, etwas unorthodoxen Laufstil weiter entfernte. Diese Messe war gelesen und als Josef die Ziellinie überquerte, blieb die Uhr bei 1:23:08 stehen. Bis sein geschlagener Konkurrent schließlich das Ziel erreichte, genoss er die kleine Ewigkeit von 90 Sekunden. Als Michael ihm dann gratulierte, war Josef schon wieder mit einer ganz anderen Frage beschäftigt. Er überlegte intensiv, wie er sein heutiges Nachmittagstraining aufbauen sollte.

Die anderen Seligenstädter waren in der dritten Startgruppe gestartet und als Schnellster des Tria-Team erreichte Andreas Schultheiß das Ziel in 1:22:01. Damit war er Zweiter der M40 vor Josef Huth als Drittem und Torsten Kleine-Rüschkamp in 1:28:17. Michael Thiem konnte sich mit dem zweiten Platz in der M45 trösten und mit einer großen Portion Eis im Kreise einiger vielversprechender und ambitionierter Nachwuchsathleten. Kalli Flach komplettierte das Ergebnis für das Tria-Team als Dritter der M60. Der Gesamtsieg in Alzenau ging in einer Zeit von 1:16:04 an Adi Kohr aus Gelnhausen und als älteste Teilnehmerin finishte Maria Seng vom Skiclub Offenbach in der W75. Alle Achtung! Siehe auch: www:http:la-team-alzenau.de

Danach, als Josef bereits Pläne für ein nächstes "Treffen" schmiedete - spätestens beim Nikolaus-Duathlon in Frankfurt - fragte sich Michael einmal mehr, auf was er sich da wieder eingelassen hatte. Warum betreibe ich diesen mörderischen Sport? Warum lasse ich mich immer wieder auf diese Geschichten ein? Wozu habe ich überhaupt diesen komischen Aerolenker an meinem Rennrad? Dann auf der Heimfahrt wurde noch an einer Konditorei Station gemacht und als der Kuchen nicht mehr in den Rucksack passte, war die erste Antwort bereits gefunden. Der Kuchen lies sich bestens auf dem Aerolenker transportieren!

Text: Michael Thiem

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